Der Deutsche Senioren-Computer-Club in Berlin boomt und findet bundesweit Nachahmer. Denn viele Ältere entdecken das neue Medium inzwischen für sich.

Die grauen PC-Freaks

Von REGINA SEIFERT

Erich Miller schreibt einfach gerne. Für seinen Sohn hat er früher die Geschäftsbriefe auf einer alten Schreibmaschine getippt. Bis der ihm 1992 einen Computer schenkte. "Ich bin da ganz unbedarft und unbefangen herangegangen", sagt der 84-Jährige.

Er besuchte einen Computerkursus, in dem er aber nichts lernte. Deswegen kauften er und sein Freund Werner Müller (70) sich zusätzliche Software und verfuhren nach dem Prinzip "learning by doing".

Danach waren die beiden Rentner in ihrer Begeisterung für das neue Medium nicht mehr zu bremsen. Freunde und Bekannte stiegen mit ein - die Idee, einen Senioren-Computer-Club zu gründen, wurde geboren. Warum sollten die Alten die modernen Kommunikationsmittel nur den Jungen überlassen?

Seit 1997 steht der Deutsche Senioren-Computer-Club e. V. im hauptstädtischen Vereinsregister. "Ein in Deutschland einmaliges Projekt. Alle Arbeiten werden ehrenamtlich gemacht. Wir wollen zeigen, dass Menschen bis ins hohe Alter in der Lage sind, diese moderne Technik zu begreifen und sich zu Eigen zu machen", sagen Werner Müller und Erich Miller. Der Stolz steht den beiden im Gesicht geschrieben.

Was vor knapp drei Jahren in einer kleinen Berliner Seitenstraße begann, hat inzwischen bundesweit Aufmerksamkeit erregt und sogar Nachahmer gefunden. Inzwischen überlegt der Vorstand, einen Verband zu gründen. Er soll bundesweit die Computer-Senioren vereinigen. Mehr als 250 Frauen und Männer stehen in der Mitgliederkartei. Allein in den vergangenen Wochen meldeten sich 50 Leute an. Sie kommen aus allen Berufen - von der Putzfrau bis zum Professor. Ihr Durchschnittsalter beträgt 66 Jahre. Das älteste Mitglied ist 84.

In den Vereinsräumen in Berlin-Lichtenberg herrscht von montags bis freitags Hochbetrieb. Vormittags wird Unterricht gegeben: Windows, Word, Excel, Publisher, Corel Draw, Einführung ins Internet, Computerenglisch für Anfänger und Fortgeschrittene. An den Nachmittagen trifft man sich zu Vorträgen oder einfach nur, um am Computer zu arbeiten, zu üben, zu spielen und im Internet zu surfen.

Die Lehrkräfte kommen aus den eigenen Reihen. Jeder gibt sein Wissen an den anderen weiter. Nicht selten findet man den Lehrer aus dem einen Kursus als Lernenden im anderen.

Was treibt Senioren dazu, noch mal eine ganz neue Kommunikationstechnik zu lernen? Erich Miller, Präsident des Clubs, wollte auf dem Zug der Zeit mitfahren. Geschäftsbriefe schreibt er heute nicht mehr, dafür ein Tagebuch für seinen Enkel.

"Die Idee kam mir, als mir meine Schwiegertochter die erste Ultraschallaufnahme von ihm zeigte. Seitdem schreibe ich meine Gedanken über ihn und die Welt auf. Vielleicht interessiert es ihn später einmal." Und mit seinem Freund Werner spielte er in der ersten Zeit abends häufig Schach. Jeder bei sich zu Hause am Computer. Die Züge vereinbarten sie telefonisch.

Viele Club-Mitglieder wurden von ihren Enkeln motiviert. "Das wohl schönste Kompliment hat uns ein altes Ehepaar gemacht, als es uns sagte: Seitdem sie bei uns seien, redeten ihre Enkel wieder mit ihnen. Will heißen, sie haben wieder gemeinsame Interessen", freut sich Werner Müller.

Auch bei Herrn Konrad war der Enkel Grund, in den Verein einzutreten: "Der ist jetzt acht Jahre. Ich will ihm das, was ich hier lerne, später beibringen. Seine Eltern haben dafür nämlich kaum Zeit."

Günter Korytko (63) und seine Frau Renate (61) aus dem brandenburgischen Lindenberg sind seit 1998 dabei. Renate absolviert gerade den Publisherkursus. Ihr Ehemann schaut zu. Computer seien nicht sein Ding. Das sei das Hobby seiner Frau, sagt Korytko. Aber da er eine Vertriebsfirma hat, verteilt er zumindest die Vereinszeitung "Der Graue Computer-Freak" mit. "Das spart Porto." Renate Korytko macht zu Hause den Verwaltungskram "bis hin zur Steuererklärung. Natürlich per Computer." Zum Spielen mit den Enkelkindern kommt sie kaum. Die finden aber trotzdem toll, was Oma macht.

Zwölf Computer stehen inzwischen in den Vereinsräumen zur freien Benutzung. Sechs haben Internet-Zugang, zwei verfügen über Bildübertragungsmöglichkeiten für Konferenzschaltungen. "Die haben wir von der Deutschen Telekom erhalten, als wir uns am Programm des ehemaligen Bundespräsidenten Roman Herzog ,Senioren ans Netz` beteiligt haben", berichtet Computer-Club-Präsident Miller.

In diesem Jahr haben sie ein neues Projekt ins Leben gerufen: die Arbeitsgruppe Parkinson-Kranke. Die Idee kam von einem Club-Mitglied, das selbst daran leidet. Zwei Computerkurse fanden bereits statt. Das Echo darauf sei so groß gewesen, dass Weiterbildungsveranstaltungen geplant sind. "Das Besondere ist, je nach Grad der Erkrankung arbeiten wir hier statt mit der Maus nur mit Tastatur. Die Kurse erwiesen sich als eine wertvolle Ergänzung zur gängigen Therapie und haben zur Stärkung des Selbstbewusstseins der Teilnehmer geführt", erklärt das Gründungsmitglied Müller.

Der Deutsche Senioren-Computer-Club sieht sich auch als soziales Zentrum für seine Mitglieder, die aus allen Stadtteilen Berlins kommen. Vielleicht erfährt er deshalb so regen Zuspruch. Die Mitglieder treffen sich zum Kaffee nach dem Unterricht oder planen gemeinsame Unternehmen. Die sozialen Kontakte seien wichtig und "eine sehr angenehme Begleiterscheinung", die auch auf vielen Festen kräftig gepflegt werde, meint Werner Müller.

Viele Freundschaften sind seit Club-Bestehen geschlossen worden. Und im Herbst vergangenen Jahres sogar eine Ehe. Die zwischen dem Club-Mitbegründer Werner Müller und dem Mitglied Renate Petrow (60).

Kennen gelernt hatten sich die Ärztin und der ehemalige Kulturmanager auf einem der jährlichen Sommerfeste. Renate Petrow war kein aktives Mitglied: "Ich wollte lediglich einen Ansprechpartner, wenn ich mal ein Problem mit meinem PC habe." Sie sei begeisterte Videofilmerin und in einem Videoclub engagiert.

Die leere Batterie ihrer Videokamera war "schuld" daran, dass beide ins Gespräch kamen.

Auch Werner Müller holt zu besonderen Anlässen seine Videokamera hervor. Beide entdeckten ziemlich schnell, dass sie wesentlich mehr Gemeinsamkeiten hatten als nur die Liebe zur Filmerei und zum Computer. Werner Müller suchte für die monatlich erscheinende Club-Zeitung, die er herausgibt, gerade einen Helfer und fragte Renate Petrow. Sie machte mit. "Dann hat er mich zweckentfremdet", lacht sie. Renate arbeitet noch als Ärztin an der Berliner Charité, und ihr Ehemann stöhnt: "Rentner müsste man endlich mal sein." Das ist er schon seit fünf Jahren, doch die "Computerei" - wie er es nennt - nimmt ihn voll in Anspruch.

Das Engagement der Berliner Computer-Senioren hat sich längst über die Grenzen der Hauptstadt hinaus herumgesprochen. Viele Anfragen erreichen sie.

Die Lehrerin Antje Bierbach aus dem kleinen Städtchen Garz entdeckte den Club im Internet. Sie will in ihrer kleinen Stadt auf der Ostseeinsel Rügen etwas Ähnliches aufbauen, sobald sie in Pension geht. "Zwei interessierte Senioren habe ich schon gefunden", sagt sie.

In München wird bereits im September ein Senioren-Computer-Club nach Berliner Vorbild aus der Taufe gehoben. Sigrid Pistorius (61), ehemalige EDV-Abteilungsleiterin in einer Münchner Baufirma, hat sich bei einem Berlin-Besuch genauestens informiert und die Vereinsgründung in die Hand genommen. 30 Interessenten stehen schon in den Startlöchern.